Neue Gedanken zur multikulturellen Gesellschaft

Neue Gedanken zur multikulturellen Gesellschaft

Eine in der modernen Gesellschaft weit verbreitete Ansicht ist es, dass das globale Dorf, in dem wir (zumindest in den großen Städten) alle mehr oder weniger leben, nur auf der Grundlage einer multikulturellen Gesellschaft existieren kann.

Doch ist diese „Multi-Kulti“- Utopie überhaupt umsetzbar und sinnvoll? Ist diese Vorstellung nicht bloß ein naiver Wunsch nach Harmonie, eine Illusion? Sind die unterschiedlichen Kulturen sich im Zeitalter der Globalisierung wirklich schon dermaßen nahe gekommen, dass man sich gegenseitig tatsächlich versteht, den anderen in seinem Denken und Handeln ein-, wertschätzen und nachvollziehen kann?
Ist es nicht vielmehr so, dass in dieser Utopie des weltweiten Miteinanders mit der Zeit alle Eigenheiten von Kulturen, die den anderen fremd und seltsam erscheinen mögen, an den Rand gedrängt oder gar ausgelöscht werden ?

Diese Gedanken hinterfragt der Münchener Kommunikationswissenschaftler Frank Böckelmann in seinem aktuellen Buch “ Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen“, erschienen in der Anderen Bibliothek des Eichborn Verlages.

Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen. Die Andere Bibliothek - Erfolgsausgabe (Gebundene Ausgabe)

Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen (Gebundene Ausgabe)

Ihn irritiert, dass in Medienberichten über Ausländer, die in unserem Land leben, zumeist das „Anderssein“ dieser Menschen übergangen, ja geradezu nivelliert werde, obwohl doch gerade dies einen entscheidenden Aspekt in diesem Zusammenhang darstellen sollte.
Dies beginnt bei einem anderen Äußeren und damit oft zusammenhängend einem anderen Schönheitsideal und führt über andere Werte oder Ziele und eine oft gänzlich andere Vorstellung vom Weg dorthin.
Hautfarbe und Gesichtsform, Gangart und Gestik, Blickverhalten und Mienenspiel sind seit jeher feste Bestandteile des kulturellen Erbes der Kontinente. Sie sind nicht belanglos, nur weil die genetischen Unterschiede gering sind.
Wer dies übersieht, es womöglich auch übersehen will oder gar vehement darüber hinweggeht, trägt damit nicht etwa zu einer harmonischen Gemeinschaft bei, sondern handelt unbewusst konträr.

In einem geschäftigen Pro und Contra zur ‚multikulturellen Gesellschaft‘ scheint es mittlerweile für wechselseitige Anziehung und Abstoßung kaum mehr Worte zu geben. Der Leitsatz lautet ‚Gegen Ausgrenzung‘, doch realistisch betrachtet ist Fremdheit heute anrüchiger als sie es jemals zuvor war, denn wir streben einen spannungslosen Zustand an. Bereits auf der simplen Wahrnehmung äußerer Unterschiede lastet ein Generalverdacht. So ärgert sich der Autor über den geistigen „Zustand unbestimmter, blinder Weltoffenheit, die gegen alles immunisierte, was an Besuchern reizen oder aufreizen könnte“
Westliche Medien, Werbung und Erziehung arbeiten daran, die Fremdheit auf Erden abzuschaffen. Doch das wird ihnen – so Böckelmann – nicht gelingen.

Um einen anderen Blickwinkel zu diesem Thema zu erlangen, setzte sich der Kommunikationswissenschaftler Böckelmann mit Menschen aus Japan, Westafrika oder China zusammen, die in unserem Land leben und befragte diese danach, wie sie ihrerseits Europäer wahrnehmen.
In der Auswertung dieser Interviews stösst der Autor immer wieder auf verblüffende Fehleinschätzungen und eine oftmals komplett falsche Wahrnehmung auf beiden Seiten.

In einem weiteren Teil seines Buches widmet sich der Autor der Historie der Begegnungen dieser Kulturen und leuchtet diese genauestens aus.
In langen und sehr aufschlußreichen Kapiteln schildert er die Sichtweise der Europäer auf die Japaner, sowie die der Japaner auf die Europäer, von der ersten Begegnung an, über die Jahrhunderte hinweg, bis er in der heutigen Zeit landet.
Die gleiche Untersuchung führt er am Beispiel der Chinesen und der Afrikaner durch, um am Ende deutlich machen zu können, welche prägenden Einflüsse diese Entwicklung für den aktuellen Umgang miteinander und das Verständnis voneinander hat.
So kommt er zu dem Schluß, daß sich ein kontinuierliches Nicht-Verstehen wie ein roter Faden durch die gemeinsame Geschichte Europas mit diesen Kulturen zieht, vor allem aber deckt er auch ein kontinuierliches Nicht-Verstehen-Können auf, welches auch oder gerade in einem aufgeklärten Zeitalter, in dem die Welt doch durch vielerlei Medien, durch zahlreichen Reiseverkehr, wie auch weltweiten Handel immer mehr zusammenzurücken scheint, weiter existiert.

Dem Leser des Buches „Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen“ wird es allmählich bewusst, dass man eine derartig verkrustete Geschichte, die bereits solchermaßen lange anhält, nicht weiterhin als bloßes „Mißverständnis zwischen den Kulturen“ betrachten kann, sondern vielmehr erkennen muss, dass die kulturellen Unterschiede durchaus existent und markant sind.
Diese geflissentlich übersehen zu wollen, oder gar den Versuch zu unternehmen, sie auszulöschen, heißt nichts anderes, als an den Tatsachen vorbei zu handeln.
Der Autor sucht hier den Vergleich zu einer komplizierten Liebesbeziehung, die auch nur dann funktionieren kann, wenn jeder von beiden Partnern bereit ist, sich zu bemühen, die Grundwerte und Eigenheiten des anderen zu verstehen und diese anzunehmen.

Frank Böckelmann, der 1941 in Dresden zur Welt kam und in Stuttgart zur Schule ging, lebt und arbeitet seit 1960 in München.
Er studierte Kommunikationswissenschaft und Philosophie, assistierte dem Philosophen Arnold Metzger, gründete Literaturzeitschriften und betätigte sich in der Subversiven Aktion und im SDS.
In den Siebzigerjahren kehrte er der Linken den Rücken zu, schrieb für die Magazine twen und stern Reportagen, sowie Bücher über Alltag, Geschlechtsrollen und Massenkommunikation.
Schließlich zog er sich von der Hochschullaufbahn zurück und ging in die freie Medienforschung. Er absolvierte Studien für öffentliche Auftraggeber, unternahm ausgedehnte Wanderungen in Mitteleuropa und führt vielseitige publizistische Tätigkeiten aus. Er ist Mitherausgeber von „Tumult“, einer Zeitschrift für Verkehrswissenschaft.
Auf diesem vielschichtigen Hintergrund basiert der Blickwinkel des Autors, welcher für den Leser Frisches und Überraschendes parat hält. Er kann mit dieser Herangehensweise auf jeden Fall neue Erkenntnisse und Zugänge zum Thema liefern, die sich abseits von ausgetretenen Diskussionspfaden befinden.
Auch kann man positiv vermerken, dass es ihm gelingt, seine Erkenntnisse und sein Anliegen gut aufgegliedert, lesbar und absolut unterhaltsam an den Leser zu bringen.

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